»Es kann jede soziale Bewegung treffen«

Klimaschutzaktivisten sitzen in Bayern in »Präventivhaft«. Staat verschärft Repression gegen Linke. Ein Gespräch mit Münir Derventli

Interview: Henning von Stoltzenberg

Münir Derventli ist Aktivist der Roten Hilfe München

Anfang November wurde nach Straßenblockaden eine 30tägige sogenannte Präventivhaft gegen Klimaschutzaktivistinnen und -aktivisten verhängt. Was genau wird den Betroffenen vorgeworfen?

Die Mitglieder der Gruppe »Letzte Generation« hatten am 3. November zweimal eine Hauptverkehrsader in der Münchner Innenstadt mit Sitzstreiks blockiert und dadurch den Verkehr behindert. Sie kündigten danach an, die Aktion zu wiederholen.

Das klingt nach einer Bagatelle. Warum diese drastische polizeiliche Maßnahme?

Einfach gesagt: Weil sie es können. Genau vor solchen Möglichkeiten hatten die Kritikerinnen und Kritiker des bayerischen Polizeiaufgabengesetzes gewarnt. Wie üblich werden die Gesetzesverschärfungen mit krassen Fällen begründet: Es gehe dabei um den Kampf gegen Terrorismus oder Kindesmissbrauch. Aber im Alltag werden die Maßnahmen dann gegen jegliche Formen des sozialen Widerstands und Protestes eingesetzt. Dass das bei uns in Bayern mit der CSU-Regierung schärfer ausfällt als in anderen Bundesländer, ist keine neue Entwicklung. Mit dem Verweis auf eine »drohende Gefahr« können Aktivistinnen und Aktivisten nun inhaftiert werden, bevor eine vermeintliche Straftat überhaupt stattgefunden hat – in diesem Fall wegen der Ankündigung, eine gewaltfreie Sitzblockade zu wiederholen. Das ist schon ein starkes Stück.

Andererseits zeigt diese Maßnahme auch die Hilflosigkeit der Herrschenden bei der Frage, wie sie mit der Situation umgehen sollen. Immer mehr Menschen sind der Meinung, dass der Kapitalismus nicht in der Lage ist, ernsthaft gegen den Klimawandel vorzugehen – nicht zuletzt auch deshalb, weil er durch ihn verursacht wurde. In der Folge wächst die Bereitschaft, selbst aktiv zu werden und auch radikalere Aktionsformen zu erproben. Das kann den Herrschenden nicht gefallen. Vor allem sehen sie das Risiko, dass die Klimagerechtigkeitsbewegung zunehmend den Kapitalismus als Ganzes in Frage stellen könnte.

Überrascht Sie dieses Vorgehen der Justiz? Hat es so etwas bereits in der Vergangenheit gegeben?

Uns erstaunt, dass das Gericht dieser Maßnahme zugestimmt hat, ohne zumindest kosmetische Abschwächungen vorzunehmen. Es hat die Entscheidung einfach abgenickt. Wenn wir uns allerdings anschauen, dass gewisse Politikerinnen und Politiker sowie zahlreiche Medien in der letzten Zeit enorm gegen Teile der Klimabewegung gehetzt haben, war absehbar, dass die Repression verstärkt würde.

In der Vergangenheit gab es vergleichbare Fälle, allerdings waren davon Geflüchtete betroffen. Sie wurden zum Beispiel in Unterbindungsgewahrsam genommen und von dort aus abgeschoben. Erst hat es möglichst still und leise die eine unerwünschte soziale Gruppe getroffen, jetzt wird die Maßnahme auf öffentliche soziale Proteste ausgeweitet. Die Reaktionen auf diesen Versuch, den Einsatz eines derartigen Repressionsinstruments zu normalisieren, müssen laut und deutlich sein.

Wie kann man den Betroffenen zur Seite stehen?

Generell unterstützen wir von der Roten Hilfe politisch Aktive, die wegen ihrer fortschrittlichen Arbeit Ärger mit dem Staat bekommen. Dabei vermitteln wir auch solidarische Anwältinnen und Anwälte, wenn das gewünscht ist. Wir ermutigen Betroffene, sich vor Gericht zu wehren. Unser Rat ist stets, zur Anklage die Aussage zu verweigern, nicht an der eigenen Verurteilung mitzuwirken, sondern politische Statements abzugeben.

Im konkreten Fall sind wir Teil der Protestbewegung und unterstützen die Inhaftierten nach unseren Möglichkeiten. Wir fordern, dass die Eingesperrten sofort freigelassen werden. Vielleicht noch ein kleiner Appell: Es ist nicht der Zeitpunkt, um über Sinn und Unsinn von Aktionsformen zu diskutieren und davon die konkrete Solidarität abhängig zu machen. Die Präventivhaft bedroht potentiell alle linken Aktivistinnen und Aktivisten. Es kann jede soziale Bewegung treffen – denken wir an die nächste Ankündigung, einen Naziaufmarsch zu blockieren oder einen sogenannten wilden Streik durchzuführen. Dieses Gesetz muss vom Tisch.

https://www.jungewelt.de/artikel/438898.einschr